Zum Vortrag von Dr. med. Paul Bernhard, seit 14 Jahren ärztlicher Direktor der Hardtwaldklinik II, Bad Zwesten1

Dr. Paul Bernhard und
Peter Falkenrodt (v. li)

Lehrer stehen im Schnittpunkt vielfältiger Erwartungen – von Schülern, Eltern, Öffentlichkeit und Bildungspolitik.“ Der resultierende Erwartungsdruck kann je nach Persönlichkeitsprofil zu ernsten psychosomatischen Erkrankungen führen. Aus der Perspektive der Psychotherapie stellte Paul Bernhard in einem Vortrag Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung bei Lehrern, aber auch Schülern vor.

Halbjährliche Oberurffer Gespräche

Der Vortrag in der gut besuchten Cafeteria letzten Dienstag bildete den Auftakt einer Reihe von Abendveranstaltungen, in der unter dem Titel Oberurffer Gespräche halbjährlich Fachreferenten über pädagogische Themen sprechen werden. Je nach Thema wird dazu auch eine breitere, interessierte Öffentlichkeit eingeladen, so Peter Falkenrodt, Vorstand des Fachbereichs Deutsch und Organisator der Fortbildungsreihe.

Zu Beginn seines etwa 90-minütigen Vortrags hob Bernhard die große Bedeutung und damit auch Verantwortung von Lehrern hervor:

Lehrern wird die Jugend als wertvollstes Zukunftsgut eines Landes zur Prägung anvertraut.

Im Widerspruch dazu stehe jedoch das eher schlechte Image als Helferberuf, der „in patriarchalischen Gesellschaften nur wenig Anerkennung und Gratifikation erhält.“ Tagtäglich haben es Lehrer in der Sekundarstufe mit Jugendlichen in den verschiedenen Phasen der Pubertät zu tun. Eine Phase, „in der Schüler labil, aber offen sind“. Das sei prinzipiell eine Chance, die jedoch mit den üblichen Klassengrößen schwierig zu nutzen sei.

Vortrag in der gut besuchten Cafeteria.

Denn Studien haben erwiesen, dass Gruppen über 25 Personen die Tendenz haben, in kleinere Gruppen zu zerfallen und die Gruppenmitglieder sich anders verhalten, als sie das als Individuen tun. Somit sei es für eine Person – z.B. den Lehrer – nicht so einfach, die Gruppe zu beeinflussen. Und Beeinflussung, man kann es auch Erziehung nennen, könne nicht erfolgen, ohne dass eine Beziehung aufgebaut werde, was schwierig sei, je größer die Lerngruppe sei.

Referent im Gespräch mit Schulleiter Winfried Heger (li.)

„Keine Bildung ohne Bindung“ – lautet die einprägsame Formel dazu. Genau darin liegen aber auch die Probleme. Denn erstens sei die Lehrer-Schüler-Beziehung durch double-bind gekennzeichnet: einerseits positive, individuelle Zuwendung, andererseits Wissensvermittlung und Benotung. Zweitens ist die „Beziehungspflege“ angesichts der eingangs genannten Erwartungen ein ständiger Balanceakt. Wie Menschen – Schüler wie Lehrer – mit den Erwartungen ihres sozialen Umfeldes zurechtkommen, ist gemäß dem psychoanalytischen Modell, das Bernhard mit teils ungewohnten Fachbegriffen, aber nachvollziehbar erläuterte, schon in den ersten sechs Lebensjahren vorstrukturiert. Dabei könne man vier Profile unterscheiden, deren typische Eigenschaften, aber auch psychosomatische Probleme der Referent auch durch Anekdoten und Witze veranschaulichte.

Tipps zur Salutogenese

Aber Bernhard ist nicht nur Psychoanalytiker, sondern auch Psychotherapeut. Deshalb gab er dem Publikum abschließend noch Tipps zur „Salutogenese“ [Lehre vom Gesundbleiben] mit auf den Weg. Privat sei die biologische und soziale Selbstfürsorge, zum Beispiel durch Sport, soziales Engagement, Freundeskreis, Partnerschaft und Familie wichtig. Aber auch im Berufsleben, dem Schulalltag, ließe sich einiges verändern: Demokratisierung des Unterrichts, Prämien für Lehrer, Erfahrungsaustausch durch Supervision, verstärkt Eltern einbeziehen. Man kann also doppelt gespannt sein: erstens, was wir davon umsetzen können, zweitens, welchen interessanten Vortrag wir nächstes Mal hören werden!2

  1. Text/Foto: Katharina von Urff
  2. Gestaltung Andreas Bubrowski