Auf ihrem Weg zum Musical TANZ DER VAMPIRE recherchiert Online-Redakteurin Katharina Wollmert (Gym-9e) Meinungen zu STUTTGART 211

Herbstferien. Ich sitze mit meiner Familie im Zug nach Stuttgart. Ich freue mich auf das Musical, das wir heute Abend sehen werden. Da fallen mir die Worte vom Chef der Onlineredaktion ein: „Wenn Du nach Stuttgart fährst, schreibe bitte einen Artikel über Stuttgart 21!“ „Okay, mache ich!“, war meine vielleicht vorschnelle Antwort.

Stuttgart-21-Infostand: Mitarbeiterin informiert die Autorin (*)

„Hätte ich das bloß nicht gesagt“, denke ich jetzt, denn eigentlich weiß ich gar nichts darüber. Nur, dass der vorhandene Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll, dass es viele Menschen gibt, die sich wahnsinnig darüber aufregen, und dass es zu Demonstrationen mit Wasserwerfern kam.

„Es gibt verdammt viele Risiken beim Bau des Tunnels“

Ach ja, und dass die 21 für das 21. Jahrhundert steht. Ein bisschen wenig, um einen Artikel darüber zu schreiben. Kurz vor Stuttgart setzt sich ein Mann zu uns ins Abteil und liest Zeitung. Da wir viel lachen, lacht er mit. Er macht einen netten Eindruck. Ich stelle mich kurz vor und frage ihn, ob es okay ist, wenn ich ihm ein paar Fragen zu Stuttgart 21 stelle. Ich habe den Eindruck, er freut sich sogar ein wenig darüber und gibt mir bereitwillig Auskunft.

Tja es ist so, dass dieses Projekt viele Vorteile mit sich bringt, wie zum Beispiel neue Arbeitsplätze und eine bessere Verkehrsanbindung und so weiter. Doch es gibt ebenso viele Gründe, die dagegen sprechen.“

Ich hake nach: Welche?

Es gibt verdammt viele Risiken beim Bau des Tunnels. Außerdem wird der Umbau über Jahre andauern. Damit verbunden wird es Krach, Schmutz und Verkehrsstaus geben. Außerdem kostet das Projekt mehrere Milliarden Euro. Die Stuttgarter selbst haben keinen großen Nutzen davon. Nutznießer ist hier eindeutig die Bahn.

Frage: Und Ihre persönliche Meinung?

„Ich komme auch ohne Stuttgart 21 gut aus. Mir tut es nur leid, um die alten Bäume und die alten architektonischen Schätze, die weichen müssen. Aber meine Meinung zählt nicht. Das wird an oberer Stelle beschlossen.

Bauzaun als Klagemauer gegen Stuttgart 21. (*)

Ich bedanke mich. Kurz darauf erreichen wir Stuttgart. Wer glaubt, dass man gleich von Bannern und Plakaten erschlagen wird, der irrt. Es ist nichts zu sehen. Erst am Nordausgang des Bahnhofs entdecke ich tausende von Plakaten und Zetteln, die an einem Bauzaun befestigt sind. Der Bauzaun als eine Art Klagemauer gegen Stuttgart 21. Außerdem wehen Banner, und Infostände laden ein zum Dialog. Einige Menschen verteilen fast aufdringlich Flyer. Andere versuchen uns eine Unterschrift abzuringen. Eine irgendwie unheimliche Situation. Doch alles geht glatt. Zum Hotel nehmen wir ein Taxi.

Kontroverse Stuttgart 21

Der Taxifahrer hat einen schwäbischen Dialekt und wirkt auf mich total sympathisch. Ich frage ihn, ob er uns etwas zu Stuttgart 21 sagen kann. Er fängt sofort an zu erzählen und zeigt uns den Park, in dem die bis zu 150 Jahre alten Bäume gefällt werden sollen. Er sagt, dass die Stuttgarter an sich voll hinter dem Projekt stehen, aber Angst davor haben, dass der Tunnel, der direkt unter der Stadt herführen soll, den Druck nicht aushält und dass die Quellen durch den Bau des Tunnels beschädigt werden können und somit auch das Trinkwasser verschmutzt werden kann. Ich hake nach: Wenn die Menschen in Stuttgart an sich für dieses Projekt stehen, verstehe ich nicht, warum es dann so viele Demonstrationen dagegen gibt und woher dann die vielen negativen Schlagzeilen in den Medien kommen.

Das ist politisches Gemache. Die Grünen steigen auf den ökologischen Zug auf, sammeln damit Stimmen für die nächste Landtagswahl. Und haben damit Erfolg. Nach neuesten Umfragen haben sie einen zehnprozentigen Stimmenzuwachs und liegen derzeit sogar vor der SPD. Was dann nach der Wahl passiert, interessiert sie dann wahrscheinlich nicht mehr.

Basisdemokratie versus Basta-Politik. (*)

Im Hotel angekommen, spreche ich noch die Frau an der Rezeption an. Sie ist zwar sehr nett, aber mit ihrer Meinung sehr zurückhaltend.

Ehrlich gesagt, interessiert mich dieses Thema nicht wirklich. Ich kann daran auch gar nichts ändern, deswegen lasse ich es auf mich zukommen.

Am nächsten Morgen beim Frühstück entdecke ich einen Mann am Nebentisch. Er sieht aus wie ein Geschäftsmann, arbeitet an einem Laptop. Vorsichtig frage ich nach, ob ein kurzes Interview für unsere Online-Schülerzeitung möglich ist. Er willigt sofort ein. Ich frage zuerst, was er von Stuttgart 21 hält. Seine prompte Antwort:

Ich stehe voll dahinter. Endlich wird der Bahnhof und somit auch die Stadt modernisiert. Der verstaubte ‚Muff’ aus den sechziger Jahren kommt weg. Auch die Trassenverbindung der Bahn von Paris nach Budapest wird deutlich beschleunigt und bequemer und entspricht dann einer modernen aufstrebenden Großstadt. Überleg mal, wie viele Arbeitsplätze dadurch geschaffen werden. Ich stehe dem ganzen positiv gegenüber. Okay, der einzige Nachteil ist natürlich, dass die alten Bäume und alten Gebäude, die im Weg stehen, beseitigt werden müssen. Das ist nicht schön, aber die Menschen, die dieses riesige Projekt seit mehr als zehn Jahren planen, haben keine Alternative.

Dann meine abschließende Frage, ob er es für übertrieben hält, was in den Medien berichtet wird. Es folgt ein ausdrückliches knappes JA. Wieder am Bahnhof angekommen gehe ich zu einem Infostand, um mir noch einige Broschüren für meinen Artikel zu besorgen. Die Frau an diesem Stand ist absolut neutral in ihrer Meinung, gibt mir entsprechendes Material zu pro und contra Stuttgart 21 und wünscht mir viel Spaß beim Schreiben. Mein Fazit: ALLE Menschen, die ich in Stuttgart angesprochen habe, waren supernett und haben mir gern Auskünfte erteilt. Keiner von ihnen hatte eine fanatische Meinung. Hätte ich noch mehr Menschen gefragt, hätte ich noch mehr unterschiedliche Meinungen und Informationen gehört.

Stuttgart-21-Befürworter
machen mobil.
(*)

Doch in einem Punkt waren sich ALLE Befragten einig: Der Umwelt sollte mehr Beachtung geschenkt werden. Verständlich! Als ich im Zug auf dem Weg nach Hause sitze, schweift mein Blick in meine Handtasche. Mengen an Infoblättern, Broschüren, Aufklebern, eine Stofftasche und Buttons lachen mich an. Ich denke nach: Jedes Thema, ob politisch oder nicht, interessiert uns nur, wenn man direkt davon betroffen ist. Stuttgart 21, diese Schlagzeile lese ich jeden Tag in der Zeitung, den Text darunter kaum. Doch jetzt, wo ich mit so vielen Menschen gesprochen habe, die direkt damit zu tun haben, interessiert mich dieses Thema ab sofort etwas mehr. Schade, eigentlich, dass wir oft so oberflächlich sind. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht ist es auch ein Selbstschutz, wenn wir uns nicht mit ALLEM auseinandersetzen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass das Musical „Tanz der Vampire“ – weswegen wir eigentlich nach Stuttgart gefahren sind – fantastisch war.

(*) Fotos: SÁLIA, Gestaltung: Andreas Bubrowski

Linksunten zur S21-Schlichtung:

Warum der Protest Stuttgart 21 auch juristisch legitim ist

Süddeutsche Zeitung: Schlichtung ohne Aussicht

Tagesschau: Erste Argumente ausgetauscht

S21: Befürworter und Gegener machen mobil

Voting zu Stuttgart 21

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  1. Heute begann in Stuttgart die erste Runde des Schlichtungsversuchs zwischen Gegnern und Betreibern von S21 unter der Regie von Heiner Geißler.