Von Andreas Bubrowski

Das Herz ist die ganze Zeit über gerührt. Erst, als sich zwischen der 16-jährigen Hanna (Paula Kahlenberg) und dem Klassenkameraden Elmar (Franz Dinda) eine schüchterne Liebe offenbart, die mehr zu sein scheint als nur ein Flirt. Dann, wenn die Wolke kommt, die sich als Todesengel entpuppt. Und die Liebe sogleich der schwersten aller Prüfungen unterzieht, der Konfrontation mit Krankheit und Tod.

xl_wolke.jpgSequenz aus DIE WOLKE. © SWR

Gregor Schnitzlers Film DIE WOLKE von aus dem Jahre 2006, im Physikunterricht vormittags vorgestellt, geht besonders deshalb an die Nerven, weil alles so bekannt vorkommt. Er handelt von einem zum Supergau ausartenden Störfall in einem Atom-Kraftwerk im Fränkischen, nahe der südlichen Landes- grenze von Hessen. Also in unserer Nachbarschaft. Die Abiturprüfung, bei der es die ersten Küsse gibt, zugleich aber der ABC-Alarm ausgelöst wird, könnte auch in Oberurff stattfinden. Nachmittags – welch Zufall – findet sich in einer Tageszeitung folgendes: Die deutsche Kenkraft-Branche strotzt vor Selbstbewusstsein und erwartet eine Renaissance der Reaktortechnik.

Alles kommt bekannt vor

Der Film setzt bewusst auf Gefühle. Die Handlung wirkt streckenweise einerseits gekünstelt und unrealistisch. Wenn etwa in einem verlassenen Fachwerkstädtchen schon nach wenigen Stunden die aufgegebenen Kühe über den Marktplatz trotten. Oder wenn wütende Autofahrer ein Auto, dessen Fahrer Hilfe leistet, nur anhupen, anstatt es einfach zu überholen. Gleichzeitig ahnt man, dass es in Wirklichkeit deutlich schlimmer zugehen würde. Die Massenpanik Hunderttausender Flüchtender würde selbst zur tödlichen Gefahr werden. Die Darstellung DIESES Infernos erspart der Film dem Betrachter.

Eigentlich läuft der WIKLICHE Film im Kopf des Betrachters ab. Der reale Film liefert lediglich eine Folge von Sequenzen, die erst im eigenen Denken und Fühlen zum fließenden Drama werden. Man mag heulen, nicht unbedingt wegen dem was man sieht. Sondern weil man sich unweigerlich vorstellt, was wäre, wenn ICH der Lehrer oder die Schülerin oder der Schüler oder eben auch DIE MUTTER wäre. Plötzlich wird klar, wie unser vermeintlich sicherer Alltag in einem Sinne eine gigantische Illusion ist, denn es bedarf nicht erst eines Supergaus im Atomkraftwerk, um das zerbrechliche Leben zu gefährden oder blitzartig auszulöschen.

Der wirkliche Film läuft im Kopf ab

Aus wissenschaftlicher Sicht mag der Film Widerspruch auslösen. Wenn etwa über Schweinfurth eine tödliche Wolke kreist, wie im Film berichtet, dann erklärt das nicht, warum während des Anrufs der Mutter der Hauptdarstellerin der Bahnhof explodiert. Zwischen Explosion und Atomunfall gibt es keinen plausiblen technischen Zusammenhang. Die Explosion ist lediglich ein dramaturgisches Element. Na und? Macht es die Atomenergie-Branche umgekehrt nicht genau so? Man besuche nur die offiziellen Internetseiten des Verbandes der Kernenergieerzeuger. Da wird auch mit Gefühlen gespielt. Nur eben mit „schönen.“ Die domartigen Atommeiler werden dort als Segen für die Menschheit dargestellt. Rein, sauber, sicher, kostengünstig – auch diese Darstellung ist aus technischer Sicht eher „Dramaturgie.“

Der Film DIE WOLKE verheimlicht nicht, dass er aufrütteln will. In diesem Sinne mag man die teils plagativen Stilmittel nachsehen. Die schauspielerische Leistung insbesondere der Hauptdarstellerin, Paula Kahlenberg, ist atem- beraubend. Ob als insgeheim verliebter Teenager oder als schicksalsgeprüftes Opfer des Supergaus – IMMER hat man das Gefühl, nicht einen Film zu sehen, sondern das Schicksal eines Menschen zu erleben, DEN MAN KENNT.

Der Bericht der Tageszeitung über die Renaissance der Reaktortechnik trägt die Headline: AUFSCHWUNG DER ATOME. Wer DIE WOLKE gesehen hat, wird da eher nicht „mitschwingen“ wollen.

Linksunten:

Süddeutsche Zeitung (4. Juni 2008): Aufschwung der Atome

Ein Gespräch mit Regisseur Gregor Schnitzler


Anmerkung der Redaktion: Schülerrezensionen zum Film sind willkommen. Ein privater Mitschnitt (DVD) liegt vor.