Mara Fischer (Klasse Gym-9b/Online-Redaktion) über den Jugend-Thriller „Tote Mädchen lügen nicht“ von Jay Asher

Die Rezensentin, 2009. (*)

Stell dir vor, du bist ein Junge, gehst auf eine ganz normale Schule und dein Leben verläuft eigentlich genauso wie das anderer Jugendlicher. Natürlich gibt es auch ein Mädchen, für das du schwärmst. Dieses Mädchen hat keinen allzu guten Ruf, aber du würdest sie gerne näher kennen lernen und sehen, ob alles, was über sie erzählt wird, der Wahrheit entspricht. Aber du bist leider zu schüchtern, um sie anzusprechen.

Und nun stell dir vor, eines Tages bringt sich dieses Mädchen um. Noch geschockt von der Meldung erhältst du einige Zeit später per Post ein Bündel mit Kassetten. Es steht kein Absender darauf, doch du legst die Kassetten in einen Recorder und drückst auf Play. Was du hörst, lässt dir das Blut in den Adern gefrieren. Es ist die Stimme des toten Mädchens, sie spricht ruhig und gleichzeitig kräftig:

Ich hoffe, ihr seid bereit, denn ich will euch die Geschichte meines Lebens erzählen. Genauer gesagt, warum mein Leben ein Ende fand. Und wenn ihr diese Kassetten hört, dann seid ihr einer der Gründe dafür.

Lügen, Partys, so genannte „Freunde“,
die Unernsthaftigkeit eines Lehrers

Genau so ergeht es Clay. Was soll er getan haben, das Hannah Baker in den Selbstmord trieb? Er weiß es nicht. Um seiner Unklarheit ein Ende zu setzen, hört er sich alle Kassetten nacheinander an, soviel Überwindung es ihn auch kosten mag. Und er erfährt alles. Von Hannahs Einzug in das neue Haus ihrer Familie, über Lügen, Partys und so genannte „Freunde“ bis hin zur Unernsthaftigkeit eines Lehrers. Ja, auch ein Lehrer hatte Schuld an Hannahs Freitod.

Jay Asher beschreibt Clays Wanderung durch die wichtigen Punkte in Hannahs Leben ausdrucksstark und erschreckend direkt. Man kann Hannahs sowie Clays Gefühlslagen genau nachvollziehen und spürt jeden Schauer, jede Verzweiflung, die die Beiden überfällt. Im Buch ist der genaue Wortlaut der Kassetten abgedruckt, mit unregelmäßigen Einschüben der Gedanken und Erinnerungen Clays. Das verlangt Konzentration und trotz kursiver Abhebung der aufgenommenen Sprache von Hannah kann es schon mal passieren, dass man die Passagen verwechselt und mehrmals lesen muss, um alles zu verstehen. Allerdings hilft diese Mischung auch beim Verstehen der Handlung, denn jedes Geschehen wird von zwei Seiten und somit vollständiger beschrieben. Besonders beim Lesen von Clays Erinnerungen werden die Missverständnisse zwischen allen Schülern deutlich, die ein Verstehen Hannahs unmöglich machten.

Das Buch fesselt bis zur letzten Seite und bleibt auch nach längerer Zeit noch in Erinnerung. Allerdings sollte man sich an das knapp 300 Seiten lange Werk erst heranwagen, wenn man etwas älter ist (ungefähr 14 Jahre), da es an manchen Stellen doch wirklich sehr direkt und ohne jegliche Verhüllung geschrieben ist. Nicht umsonst erzählt Hannah: „Es tut mir leid, wenn ihr euch das jetzt zu bildlich vorstellt, aber so war es.“ Vermutlich wird durch diese eindringliche Schreibweise aber auch der Gänsehaut-Effekt, den man beim Lesen bekommt, hervorgerufen. Doch der Schmöker lässt sich flüssig und schnell lesen, wobei ein zweiter Lesedurchgang zum Zwecke des besseren Verständnisses vermutlich nicht schadet. Die Fülle an Charakteren und verflochtenen Beziehungen kann nämlich leicht für Verwirrung sorgen.

Nach dem Lesen achtet man für eine gewisse Zeit
verstärkt auf das Verhalten anderer.

Thirteen Reasons Why. Cover
des amerikanischen Originals.

© Penguin

Wie in so vielen Büchern aus Amerika gibt es auch in diesem einige typische Klischees. Welche das sind, wird nicht verraten, denn sonst fiele ein Teil der Spannung weg. Andere Klischees werden jedoch widerlegt. Man könnte meinen, die Gründe für Hannahs Selbstmord seien nichtig, was sie einzeln genommen auch sind. Doch im Zusammenspiel werden sie immer schwerwiegender. Es wird zwar nie wirklich erwähnt, doch vor allem im hinteren Teil des Buches hat es den Anschein, dass Hannah ein schwerwiegendes psychisches Problem hat.

Positiv ist, dass immer wieder wird auch deutlich gemacht, dass es einen anderen Weg als Selbstmord gegeben hätte, hätte man nur mit Hannah geredet. Die Geschichte macht ein wenig sensibler für Mitmenschen und ihre Reaktionen auf eigene Handlungen. Denn alles, was man sagt oder tut, führt eine Reaktion anderer nach sich. Das heißt jedoch nicht, dass man durch diesen Roman Selbstmordgefährdete dazu bringen kann, ihre Suizidgedanken aufzugeben. Immerhin ist es eine fiktive Geschichte und man kann nie wirklich wissen oder verstehen, was in den Köpfen dieser Menschen vorgeht. Aber nach dem Lesen achtet man zumindest für eine gewisse Zeit verstärkt auf das Verhalten anderer. Ein kleines Manko des Buches ist allerdings, dass der sich quasi einhämmernde englische Titel „13 reasons why“ der Übersetzung zum Opfer fiel. Aber der Titel sollte nur ein leichtes Defizit sein.

Insgesamt ist „Tote Mädchen lügen nicht“ ein wirklich lesenswerter Roman, der einiges an Spannung verspricht. Jedoch sollten es sich Menschen mit schwachen Nerven zweimal überlegen, dieses Buch zu lesen, da manche Stellen wirklich durch Mark und Bein gehen. Clays, aber vor allem Hannahs Gefühle übertragen sich auf den Leser und hinterlassen ein Gefühl, das man auch Stunden später nicht ganz los wird. Immer wieder streifen die Gedanken zum Buch. Doch wahrscheinlich macht genau das den Reiz der Geschichte aus.

Noch ein kleiner Tipp: Wem Lesen zu anstrengend ist, kann sich auch auf das gleichnamige Hörbuch (übrigens von zwei Sprechern vertont) verlassen. „Tote Mädchen lügen nicht“ ist bei cbt erschienen  und ist auch in der JuBi unserer Schule vorhanden.

(*) Bild/Gestaltung: Andreas Bubrowski