Den Vertrieb seiner Produkte und Services an Schulen bezeichnet Apple suggestiv als „Bildungsinitiative“.Foto: Apple
Den Vertrieb seiner Produkte und Services an Schulen bezeichnet Apple suggestiv als „Bildungsinitiative“.
Foto: Apple

Schon immer waren die USA in Sachen Computertechnik und Informations­verarbeitung Trendsetter. Allerdings ging es dabei bisher vor allem um die profitable Vertei­lung von Technologien. Jetzt zeigt sich, die USA können auch Trendsetter beim Rückzug sein. Ein Pilotprojekt an 30 Schulen in Los Angeles, bei dem Apple-Technologie mit einem Investitions­volumen von rund einer Milliarde Dollar zum Einsatz kommen sollte, wurde abgeblasen. Tausende bereits verteilte iPads werden wieder eingesammelt. Begründung: Schüler haben zunehmend die aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen eher früher als später geknackt und sich im Unterricht mit Onlinenetzwerken verbunden oder mit Onlinespielen vergnügt. Das Pilotprojekt wird jetzt neu überdacht.

Misserfolge als Lerneffekt sehen

Die Mentalität der Amerikaner, Misserfolge weniger als Scheitern denn als Lerneffekt zu sehen und dann auch konsequent umzukehren und neu anzufangen, ist bewundernswert. Kaum vorstellbar, dass etwa ein deutscher Bildungsträger sich mit Apple erst verbandelt, seine Entscheidung als digitalrevolutionäre Bildungsinitiative öffentlich preist, tausende iPads an Schüler verteilt – und dann, nachdem offensichtlich wurde, dass „WLAN für alle“ an Schulen aus Gründen des Jugendschutzes schlicht unhaltbar ist, mutig seinen Irrtum zugibt, die HighTech wieder einsammelt und ein Überdenken des Konzeptes avisiert. Sehr wahrscheinlich würde stattdessen ein jahrelanges Schönreden der Misere einsetzen und am Ende – möglichst ohne großes öffentliches Aufsehen – der eine oder andere Verantwortliche seinen Hut nehmen müssen.

In Los Angeles heißt es dagegen frei heraus: Das Projekt wird bis auf weiteres gestoppt und das zugrundeliegende Konzept neu überdacht. Man mag besserwisserisch einwenden, dass die Risiken einer globalen iPadisierung von Schulen den Verantwortlichen mit etwas logischem Denken hätte leicht früher in den Sinn kommen können. Doch man darf die Effektivität der Apple-Marketing-Maschinerie nicht unterschätzen. Der eigentlich banale Verkauf von Hardware wird mit dem Begriff „Bildungsinitiative“ suggestiv verklärt. Und wer auf den für Schulen und Unis zugeschnittenen Bereich von iTunes geht, dem wird beschieden: „iTunes U. So unterrichtet man heute.“ Wer da als Lehrer nicht wenigstens sofort über den Einsatz von iPads in seinem Unterricht nachdenkt, muss fast unvermeidlich ein schlechtes Gewissen haben oder sich schrecklich als Hinterwäldler vorkommen.

„iTunes U. So unterrichtet man heute.“

Amerikas Intellektuelle, die einst selbst die Vordenker der „Virtual Reality“ waren und Apple-Computer als revolutionären Ausdruck eines kreativen „Think different“ ansahen und benutzten, diese Intellektuellen, wie etwa der im Späthippie-Look daher kommende Jaron Lanier, sind es, die heute vor eben diesem Apple-Konzern und anderen IT-Riesen wie Google, F…book und Amazon als totalitäre Datenkraken warnen: Du bist nicht der Kunde dieser Konzerne. Du bist ihr Produkt1!

Auf Schulen angewandt: Schulen wären dann nicht Kunden, sondern das Produkt von Apple & Co. Da kann man es nur machen wie die Bildungsverantwortlichen in L. A., man sollte – möglichst von Anfang an – gut nachdenken. Und genau da fangen Bildungsinitiativen ja an, beim Nachdenken über das was für die anvertrauten Schüler das Beste sein könnte und was eher nicht. Und nicht alles, was IT möglich macht, ist automatisch gut oder das Beste. Und dennoch: nichts könnte einer Schule willkommener sein, als wenn am Tor aus einem LKW ein paar Paletten iPads für alle Schüler abgeladen würden. Ohnehin haben die meisten ständig ihre Smartphones dabei. Warum nicht auch noch ein iPad?

Doch um den – zumeist an Schulen deutlich rabattierten – Verkauf von Hardware geht es Apple & Co. gar nicht. Es geht um das möglichst frühzeitige Abschöpfen personenbezogener Daten. Los geht es harmlos, etwa: wer teilt mit wem wann und in welchem Fach Hausaufgaben? Wer sich aber einmal an Server-Dienste eines Herstellers gewöhnt hat, wird früher oder später dazu neigen, immer mehr Privates „seinem“ Cloudanbieter zu überlassen und damit schließlich einen wesentlichen Teil seines Menschenrechtes auf souveräner Selbstbestimmung – das schließt die Hoheit über eigene Daten ein – aufgeben. Sollten wir Lehrer aber nicht für genau diese Anfechtung des Lebens die uns anvertrauten Schüler fit machen?

„Du bist nicht der Kunde dieser Konzerne.
Du bist ihr Produkt!“

Wenn also am Bushäuschen 1.200 iPads zur freien Verfügung liegen würden, gäbe es keinen Grund, die schicken Teile nicht schnell anzunehmen und zu verteilen. Doch nach dem Auspacken und Ein­schalten2 ginge die medienpädagogische Arbeit richtig los. Endlich ließen sich in den Fachbereichen alle Lehrplaninhalte mit „PC-Bezug“ erfüllen. Und wenn Schüler und Lehrer bewusst und wissend warum, etwa die Hausaufgaben nicht kommerziellen Serverdiensten, sondern weiterhin dem Hausaufgabenheft oder dem geschützten Cloudienst des schuleigenen sozialen Onlinenetzwerkes anvertrauen, dann dürften die Lehrer dieser Schule „ihre“ Schüler in der Tat dafür fit machen, dass sie zukünftig zwar Kunde von diesem oder jenem IT-Hersteller sind – aber nicht deren Produkt. Das wäre doch mal eine echte Bildungsinitiative. ANDREAS BUBROWSKI

Linksunten: Lernen 2.0: US-Schulen sammeln iPads wieder ein

  1. Quelle: DER GOTTKONZERN, Jörg Häntzschel, Süddeutsche Zeitung, 19. Oktober 2013
  2. Der WLAN-Zugang der iPads ins Internet wäre dann Sache der Eltern, und würde ansonsten unter die Regelung zum Handy-Gebrauch der Schulordnung fallen. Möglicherweise müsste unsere Schule aber aus Haftungs­gründen, wie viele andere Schulen auch, einer missbrächlichen Internetnutzung mit der Implementierung eines campusweiten Störsender vorbeugen.