Mit Praxistipps und Checkliste zu technischen Voraussetzungen

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Natürlich hatten so gut wie alle ihr Handy trotzdem dabei. Als der Zug nur noch wenige Minuten vom heimatlichen Bahnhof entfernt war, die Möglichkeiten der Einflussnahme der beiden Begleitpersonen sich also langsam erschöpften, hingen die Schüler der Realschulklasse 7g fast einheitlich sogleich am Handy-Tropf. Begründung: man müsse doch die Eltern informieren, dass man tatsächlich pünktlich wie angekündigt eintreffen werde.

In Wirklichkeit stürzten sich die Schüler nach drei langen Tagen der Enthaltsamkeit mit Jubel in die Funktionalität ihres Mobiltelefons. Erst mal checken, was der Bluetooth-Sensor so empfängt. „Wir haben ihr Handy gefunden!“ schoss ein Jubelschrei quer durch den voll besetzten Waggon. Kurz danach das Piepen am eigenen Handy, ob man den Dateiübertrag akzeptieren würde… Dann noch ein weiterer Ruf, wütend jetzt: „Hat jemand Empfang?“

Tatendrang, Unternehmenslust und Forschergeist

Twitter sei Dank – bis auf die letzten Minuten Zugfahrt blieb der Klasse, den beiden Begleitpersonen und allen zufällig Anwesenden die überbordende Unruhe erspart, die unvermeidlich aufkommt, wenn sich Tatendrang, Unternehmenslust und Forschergeist von 23 pubertierenden Jugendlichen allein auf die Mobilfunktechnik kanalisieren muss. Nachfolgend eine Zusammenfassung der Twitter-Erfahrungen.

Die Exkursion

Drei Tage Fachexkursion – Unterbringung in der Jugendherberge im nur gut zwei Zugstunden entfernte Bad Salzungen in Süd-Thüringen. Jede Art von Handypräsenz war untersagt. Wer sein Handy benutzte, bekam es bis zur Ankunft daheim eingezogen. Vormittags gab es geführtes Programm. Nachmittags konnte zwischen Schwimmbad, Spielen, Shopping in Eisenach oder Bad Salzungen gewählt werden. Die Zeit zwischen Abendbrot und Nachtruhe konnte auf dem Gelände der Jugendherberge frei gestaltet werden.

Nach Hause Twittern

Zwar besaß die Jugendherberge einen leistungsfähigen Internetzugang über WLAN. Doch leider war das WLAN-Passwort erst nicht auffindbar, dann erwies es sich als falsch. Blieb nur der direkte Ethernet-Zugang im Büro der Herbergsleitung. Um wenigstens einmal die ganze Klasse vor die Kamera zu bekommen, schlug die Herbergsleiterin kurzerhand vor, den Bürotisch auf die Seite zu rücken. Der beschränkte Internetzugang ließ nur einen bis zwei Tweets pro Tag zu. Die ursprünglich geplante Erstellung einer themenbezogenen Tweet-Serie, mit der Option, allen Schülern die Erfahrung zu ermöglichen, war nicht machbar, da das Büro der Herbergsleitung nicht ständig blockiert werden konnte.

Video-Tweets konzipieren, simulieren, senden

Als das erste Video-Tweet gesendet wurde, stellte sich zunächst ein banales Hindernis in den Weg – der falsch gewählte Toneingang am Laptop machte den Clip zum Stummfilm. Zum Glück konnten dem Winken der Schüler noch 140 Zeichen Erklärung beigefügt werden. Als es mit dem Ton schließlich klappte, alle begriffen, dass ein Video-Tweet SOFORT online ist, begann sich Interesse und Neugier zu regen. Wollte sich zuerst niemand für den Auftritt finden, kamen bald schon berechtigte Forderungen: „Ich will auch mal.“

Selbst kurze Videogrüße gehören vorbereitet1

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Allerdings wurde jetzt klar, dass eine Live-Sendung vorbereitet gehört. Was sagen, wie es sagen, in welcher Reihenfolge, wie Wiederholungen vermeiden… Eine Art Drehbuch ist die Lösung. Die jeweils drei bis vier Schüler vermochten nach kurzer Einweisung aus dem Stand heraus in nur 30 Minuten ein Drehbuch für einen Zwei-Minuten-Tweet zu erstellen. Mit Stift und Papier bewaffnet schrieb sich jeder seinen zuvor diskutierten Rollentext auf. Legastheniker bekamen dabei Unterstützung durch die anderen Mitwirkenden.

Twitter als Handyersatz?

Twitter kann das Bedürfnis nach sinnvoller Kommunikation – im Fall einer Exkursion oder Klassenfahrt die Kommunikation mit der Familie daheim – ansatzweise bedienen und damit ein Hauptargument für die Handynutzung entkräften. Der Drang zum individuellen Abdriften in virtuelle Welten lässt sich weiterhin nur durch aktivierende Freizeitangebote und Präsenz der Begleitpersonen neutralisieren. Jugendliche, denen es daheim gestattet wird, sich selbst überlassen freizügig der Illusion virtueller Kommunikation hinzugeben, werden auch trotz Twitter nichts mit sich und den anderen anzufangen wissen. Bleiben die gewohnten „Reizangebote“ aus, langweilen sie sich, wenn sie plötzlich „ganz normal“ mit den anderen spielen oder chillen sollen. Hier sind unverändert dezente individuelle Hilfen gefragt, diese Jugendlichen in die Gemeinschaft einzubinden.

Technische Voraussetzungen (Lehrer)

Voraussetzungen Internetzugang

  • Aktiver Twitter-Account
  • Eine dynamische Webpräsenz (eine statische Internetseite reicht nicht), etwa ein Weblog oder ein flexibles Content-Management-System, in das sich Tweet-Updates einbinden lassen.
  • Breitband-Zugang ins Internet

Voraussetzungen Laptop (benutzte Technik)

  • Laptop mit Webcam: Macbook Pro mit iSight-Kamera
  • Tweetie (Twitter-Client für Laptop2)

Jugendherbergen sollten präpariert sein

Auch Jugendherbergen (JH) werden sich darauf einrichten müssen, dass Interessenten einen funktionierenden Internetzugang erwarten, kostenfrei oder jugendgemäß kostengünstig. Wobei man überlegen sollte, ob 1-Euro-Abrechungen für den Webzugang nicht eher rufschädigend sind. Im Hotelgewerbe ist das schon so. Hotels ohne freien Webzugang verlieren Gäste.

Freizeitbeschäftigung Kopfstand © A. Bubrowski/CJD-UPDATESchüler stehen Kopf – im sportlichen Sinne zu begrüßen; kritisch, wenn es im Zusammenhang mit ungehindertem Webzugang geschieht. (*)

Die technischen Voraussetzungen sind denkbar einfach. Die JH müssen lediglich über ein zugängliches WLAN verfügen. Allerdings ist es mit der Übergabe der Zugangsdaten an die Begleitpersonen von Klassen nicht getan. Aus reinem Selbstschutz müssen sich die JH von den verantwortlichen Begleitpersonen die vertrauliche Behandlung der Zugangsdaten3 sowie die Haftungsübernahme der Internetnutzung bestätigen lassen. Damit wird sichergestellt, dass nicht Lehrer auf die Idee kommen, die Zugangsdaten an Schüler weiterzugeben.

(*) Text/Bild: Andreas Bubrowski

  1. Allein die Vorstellung, dass die Sendung SOFORT von ein paar Hundert oder gar mehr Leuten gesehen wird, macht nervös – und schon kann es im Vortragsfluss holpern.
  2. Umfasst erforderliche Software für Erstellung, Komprimierung und Upload eines produzierten Video-Tweets.
  3. Was eine Weitergabe der Zugangsdaten an Schüler explizit ausschließt.