Von Maria Ordemann

Ziegenhain – Die Menschheit lebt scheinbar in Angst und Schrecken. Nicht etwa vor einem dritten Weltkrieg oder der drohenden Gefahr schmelzender Polkappen, sondern vor „dem besten Freund des Menschen“, dem Hund, oder besser gesagt den „Kampfhunden“.

Immer wieder hört man von tödlich endenden Attacken eines solchen Tieres auf einen Menschen. Die Regierenden sind aufmerksam geworden. Eine gute Gelegenheit, das angeschlagene Image zu polieren und sich als „Freund und Helfer“ des Bürgers in Szene zu setzen. Also muss ein neues Gesetz für den Leinenzwang her. Und wenn, dann richtig. JEDER Hund, ob handteller- oder kalbsgroß, muss in Zukunft an die Leine. Und sei es beim Spaziergang auf freiem Feld…

(Bild: Andreas Bubrowski)

… In Wirklichkeit naht wieder ein Gesetz, das mit viel Verwaltungsaufwand Wirkungen zu kaschieren sucht, die Ursachen des Problems aber unangetastet lässt. Was hat es denn eigentlich mit diesen Übergriffen von Hunden auf Menschen auf sich?

Ich selbst wurde vor einigen Jahren von einem Hund gebissen. Damals war ich zehn. Es war ein Schäferhundmischling. Den ganzen Tag hatte ich mit ihm gespielt und mich sogar mit ihm angefreundet. Am Nachmittag zogen wir uns dann gemütlich in die Gartenlaube zurück, um Kuchen zu essen. Roy, so hieß mein neuer Freund, durfte natürlich mit hinein, sah uns gebannt zu und spähte, ob nicht etwas für ihn abfallen würde.

Als ich mit Essen fertig war, wollte ich weiter mit ihm spielen. Roy stand noch immer in erwartungsvoller Spannung am Tisch. Die anderen aßen noch. Er konnte also weiter hoffen, einen süßen Happen abzubekommen. Ich stand auf, ging um ihn herum, öffnete die Tür und versuchte, ihn von hinten zu streicheln.

In dem Moment tat Roy einen erschreckten Satz um seine eigene Achse und schnappte zu. Ich schrie auf und begann zu weinen. Roy ließ sofort von mir ab, fing an zu jaulen und versuchte mich zu trösten.

Was war passiert? Hunde sind generell futterneidisch. Das liegt in ihrer Natur. Er hatte mich nicht bemerkt, war auf das Geschehen auf dem Tisch konzentriert und in Erwartung eines Leckerlis. Meine Berührung hatte ihn erschreckt. Reflexartig nahm er an, es würde sich ein „Konkurrent“ SEINEM Fressplatz nähern und ihn verdrängen. Wie es sich für einen guten Hund gehört, hat er in dem Fall sein „Revier“ zu verteidigen. Roys Reaktion war also richtig und vorhersehbar. Das Problem war also nicht der Hund, sondern meine Unerfahrenheit im Umgang mit ihm.

Ein weiteres Merkmal, dass Roy kein „bissiger Hund“ war, ist seine aufrichtige Reue, mir versehentlich Schmerz zugeführt zu haben. Und sein ehrliches Bemühen, sich bei mir zu „entschuldigen“.

Ich sage: Wenn Hunde Kinder beißen, dann sind nicht die Tiere schuld, sondern die Tierhalter. Viele Menschen legen sich einen Hund zu, ohne viel über seine Wesensart zu wissen. Es gibt viele Hunde, die nicht gehorchen, weil die Erziehung nicht konsequent genug war oder weil Herrchen oder Frauchen nicht genug Erfahrung im Trainieren des Tieres haben. Oft werden Tiere eingeschläfert, wenn sie einmal gebissen haben. Die Menschen vergessen dabei, dass ein Hund KEIN Mensch ist und es auch nie sein wird. Im Rudel müssen sich die Hunde behaupten. Es ist ein Kampf, seine Position im Rudel zu bestimmen.

Doch warum genau beißt ein Hund? Wie kann man das verhindern? Der Hund muss seinen festen Platz in der Familie finden. Er sieht sich selbst ganz unten in der Rangordnung. Hunde brauchen, wenn sie mit Menschen zusammenleben, eine strenge Hand. Das heißt nicht, dass man sie schlagen soll! Der Hund benötigt für ihn erkennbare Grenzen und liebevolle Autorität. Und nur der erfahrene Hundehalter weiß, wie für diese Grenzen genau beschaffen sein müssen.

Zuallererst müssen Hunde artgerecht gehalten und gefördert werden. Grundvoraussetzung ist ein der Größe entsprechender Lebensraum. Doch das ist nicht genug. Wer sich einen Hund zulegen möchte, sollte sich daher zuvor folgende Fragen beantworten:

Bin ich bereit, jeden Tag zirka zwei Stunden mit ihm spazieren zu gehen? Das ist das Minimum. Es muss nicht am Stück sein, doch muss der Hund viel laufen und sich austoben können. Sonst ist er unausgeglichen.

Bin ich bereit, ihn zu fördern, mit Suchspielen oder zum Beispiel mit Agility-Training? Ein Hund braucht Beschäftigung. Das senkt die Aggressionsbereitschaft.

Bin ich bereit, meine Urlaubsplanung anzupassen? Der Hund muss mit. Das kann Einschränkungen für den Urlaubsablauf nach sich ziehen. Habe ich im Notfall jemanden, der sich um ihn kümmert, wenn ich nicht da bin? Der Hund ist ein Familienmitglied, kein Spielzeug, das man im Schrank verstauen kann. Ist der Hund erst da, muss man auch auf seine Bedürfnisse eingehen, wie für jedes andere Familienmitglied auch.

Zum Beispiel wird man zukünftig auf den luxuriösen Club-Urlaub verzichten müssen und stattdessen Reiseziele wählen, an denen auch der Hund willkommen ist und genügend Auslauf hat.

Wer nicht alle Fragen mit „Ja“ beantworten kann, sollte sich keinen Hund anschaffen. Gerade das erste halbe Jahr des Zusammenlebens ist für den Charakter des Tieres prägend. Hier ist ein genauer Fahrplan empfehlenswert, der vor allem vom zukünftigen Halter konsequentes Handeln und Selbstdisziplin verlangt. Besonders diejenigen, die noch keine Hund hatten, sollten sich dabei vom Fachmann beraten lassen.

Jedem Hundebesitzer ist zu raten, einen Hundeführerschein abzulegen. Das gewährleistet den harmonischen Umgang des Mensch mit Hunden und verringert das Risikopotenzial. Es reicht nicht, nur den Umgang mit „gefährlichen“ Rassen zu regeln. Man kann das Aggressionspotenzial des Hundes nicht an der Rasse festmachen. Die neuesten Studien belegen, dass die wenigsten Attacken von „Kampfhunden“ ausgehen. Das mag daran liegen, dass für diese Hunde ohnehin Maulkorb- und Leinenzwang besteht. Hunde generell an der Leine zu führen ist nicht artgerecht! Hunde müssen laufen können. Da reicht kein Garten. Sie müssen mit ihren Artgenossen oder mit Menschen toben können.

„Leinen fördern die Aggression. Weil die Tiere, die immer an der Leine gehalten werden, nicht mehr normal agieren können“, so Prof. Hackbarth vom „Institut für Tierschutz und Verhalten“.

(nira)