Die Wahlaufgabe W4 der gerade absolvierten schriftlichen Abschlussprüfung der Realschule in Mathematik behandelt eine dreiste kriminelle Handlung, die fast zeitgleich zur Prüfung vor dem Landgericht Marburg verhandelt wurde.

Mathematikprüfung 2007 (Bild/Montage: Bubrowski/cjd-update.info)

Im Januar 2006 hatten drei zwischen 26 und 29 Jahre alte Täter aus NRW und Schleswig-Holstein bei Lohra (Mittelhessen) fast fünf Kilometer Schienen und mehr als 6.200 Bahnschwellen von einer Abrissfirma demontieren lassen.

Dabei täuschten sie vor, im Auftrag der Bahn zu handeln. Über zwei Wochen hatten daraufhin ahnungslose Arbeiter die ungenutzten Gleise entfernt. Die Diebe verkauften das Alteisen an eine Schrottfirma in NRW und erwirtschaften mehrere 10.000 Euro. Aufgeflogen ist der Coup nur deswegen, weil sich ein Eisenbahn-Fan bei einer Lokalzeitung über die Demontage beschwert hatte. Nachfragen bei der Bahn AG ergaben, dort war nichts vom Abbau der Gleisanlagen bekannt. Anfang Mai 2007 wurden die Diebe zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung bis zu zwei Jahren und einem Monat ohne Bewährung verurteilt. Die Vorbereitungen für einen weiteren Schienenklau, diesmal bei Bischoffen, liefen bereits.

Schienenklauen lohnt also nicht! Oder doch? Die entsprechende Prüfungsfrage für hessische Realschüler dreht sich jedenfalls ausschließlich um die Kosten-Nutzen-Seite der Tat („Warum stiehlt man 5 Kilometer Bahngleise?“). Und führt den Prüfling dazu, ganz wie die Täter zu kalkulieren: Welchen Gewinn bringt ein fünf Kilometer langes Gleis, wenn der Marktpreis für Stahlschrott 200 Euro pro Tonne beträgt? Dazu ein Foto mit dem Querschnitt einer Schiene. Richtig geschätzt und gerechnet kommen fast 100.00 Euro dabei heraus.

Üblicherweise werden Sachaufgaben in einen – und sei es noch so vagen – gesellschaftlichen Kontext gebracht, sollen sie doch mehr als nur RECHENFERTIGKEITEN kommunizieren bzw. abfragen. In der Prüfungsfrage fehlen jedoch entsprechende Hinweise, etwa auf die Verwerflichkeit der Tat und die negativen Folgen für die Straftäter. Wenn ein Realschüler nicht zufällig in den Medien etwas über den Prozess und das Strafmaß mitbekommt, könnte er den Eindruck gewinnen, Schienenklauen ist ’ne tolle Idee. Dass es zumindest finanziell lohnt, hat er im Zweifel gerade richtig ausgerechnet und dafür acht Punkte bekommen.

In Zeiten, in denen von Schulabgängern zunehmend erwartet wird, soziale Kompetenz vor persönliche Eigeninteressen zu stellen, mutet eine solche Aufgabenstellung kontraproduktiv an. Wenn es wenigstens einen Kontext zum Strafmaß gegeben hätte, um die „Erfolgsrechnung“ zu relativieren. Etwa die Bestimmung des individuellen kalkulatorischen Gewinns der einzelnen Täter pro Haftminute 8). Vorausgesetzt, diese haben den Gewinn beizeiten am Bahndamm vergraben und so erfolgreich dem Zugriff der Strafverfolgung entzogen (Letzteres ist bitte ironisch zu verstehen ;-)). (w.)