Der hessische Lehrplan sieht für die Klassenstufe 10 die Behandlung von RADIOAKTIVITÄT vor. Mit unterschiedlichen, dem jeweiligen Bildungsgang entsprechenden, Unterrichtsinhalten. Was anderen ein Dorn im Auge ist, kann dem hessischen Physiklehrer zum didaktischen Glücksfall werden. Landesvater Koch preschte am Wochenende seinem Image als liberaler Reformer gemäß nach vorn. Binnen Stunden vermeldeten die Nachrichtenportale erst seinen Vorschlag, das Abschalten von Kernkraftwerken zu überdenken und schließlich den ersten Vorstoß, sogar Neubau-Vorhaben aus ideologischen Gründen nicht grundsätzlich auszuschließen.

Das Thema RADIOAKTIVITÄT, naturgemäß eher dünn mit Experimenten ausgestattet, ist im 20. Jahr nach Tschernobyl plötzlich aktuell geeignet für die Durchführung fachübergreifender und praxisorientierter Szenarien. Die vorgesehenen 15 Unterrichtstunden werden dazu in ein gesellschaftspolitisches Planspiel eingebunden und die Schüler in drei Gruppen eingeteilt:

Gruppe 1: „Pro Atom“ – Zweckverband der Atomindustrie
Gruppe 2: „DIE Anti-Atomis“ – ein fiktives parteiähnliches Gebilde
Gruppe 3: „Das Energieministerium“ – eine Behörde, die die Versorgung der Bevölkerung pragmatisch sicherstellen muss.

Die Gruppeneinteilung erfolgt zunächst „willkürlich“ zu gleichen Teilen. Nur so läßt sich sicherstellen, dass auch in Gruppe 1 genügend Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Aufgabe ist es, dem gewählten Chef der Gruppe durch individuelle Ausarbeitungen präsentierbares Material zur Verfügung zu stellen.

Jeder Schüler hat sich um SEIN Thema SELBST zu bemühen, das sich signifikant von den Themen seiner Kollegen abzuheben hat. Ein intuitiver Atomkraftgegner muss sich dabei sachlich FÜR seinen „Arbeitgeber“ engagieren, wenn er etwa zur Gruppe 1 gehört.

Die verbindlichen Unterrichtsinhalte – zum Beispiel in der Realschule Atomzerfall, Atomspaltung und Auswirkung radioaktiver Strahlung – werden von den Gruppen entsprechend ihrer Motive argumentativ umgesetzt. Zum Abschluss präsentieren sich die Gruppen auf einer Pressekonferenz. Die kritischen Journalisten werden dabei von den „Anderen“ simuliert.

Ist dieser Punkt absolviert, können die Schüler – wenn sie mögen – persönlich Stellung beziehen, also etwa kündigen und zu einer anderen Gruppe wechseln.

Der Lehrer tritt als Know-how-Vermittler und Moderator auf. Von Anfang an ist klar, dass es weder um eine Verteufelung, noch um eine Verharmlosung des Zusammenhangs Atomkraft/Radioaktivität gehen kann. Alle ahnen diffus, dass es wohl nicht ganz ohne Atomkraft gehen wird. Zumindest nicht so bald. Wir berichten, was am Ende herauskommt. (w.)